Burnout ist grausam (10. Teil)

Chris Marty

Chris Marty,

16. August 2015
Geschichten

Burnout ist grausam (10. Teil)

1998, ich war immer noch nicht voll bei Kräften, wollte es aber nochmals wissen und schrieb mich an der Uni zum Psychologiestudium ein. Der Schuss ging hinten heraus: Ich schaffte gerade eine Vorlesung, dann begann ich zu zittern und musste nach Hause gebracht werden. Ich ging nicht mehr hin. So ging es weiter! Ich konnte mich nicht mehr anstrengen und keine Leistung mehr erbringen. ...

... In der Schule, in der ich mittlerweile fest als Hilfskraft angestellt war, organisierte ich einmal ein grösseres Projekt, das ein Jahr Vorbereitung abverlangte. Es war aufwändig und umfasste alle Bereiche, die ich vom Studium her kannte und beherrschte: Von der Finanzbeschaffung bis zur fertigen Lösung. Es machte Spass! Da es nicht um Leistung ging und ich nicht alles an einem Stück erledigen musste, sondern mir viel Zeit lassen konnte, hatte ich keine nennenswerten gesundheitlichen Probleme, ausser dass ich mich manchmal fragte, ob ich es auch schaffen würde. Am Schluss war ich müde und ausgelaugt, erholte mich aber während den Sommerferien wieder schnell. Ein weiteres kleineres Schulprojekt folgte, das ich auch meisterte. Ich musste mir Zeit lassen, viel Zeit! 

Dann folgte eine zweimonatige Ausbildung mit Schlussprüfung. Ich war 2001 immer noch nicht auf dem Damm, entschied mich aber trotzdem für den Lehrgang. Die Abschlussprüfungen bestand ich mit Bestnote, war aber nachher so geschafft, dass ich wieder zu zittern begann. Zudem nahmen die Ängste wieder stark zu. Ein Jahr lang konnte ich mich nicht mehr frei bewegen, und brauchte für jeden Gang Begleitung. Parkhäuser mied ich und Lichtsignalanlagen waren wie Schranken, die hinter mir zugingen. Ich war eingesperrt, und reagierte mit Panik! Sechs Jahre später hatte ich die Ängste wieder einigermassen im Griff.

Ich ging zur Therapie: zuerst wöchentlich, dann monatlich. Die Ängste wurde ich nie los! Ich lernte mich aber besser kennen und langsam auch meine Kindheit verstehen. Allmählich brauchte ich diese äusseren Bestätigungen nicht mehr und bezog meinen Selbstwert aus mir selbst. Erfolge wurden weniger wichtig! Heute ist es ein schönes Zückerchen, wenn ich für eine Leistung Lob bekomme, aber nicht eins und alles in meinem Leben und kein Fass ohne Boden mehr wie früher. 

2002 kam die Wende! Die Schule hatte einen neuen Schulleiter, dem ich ein Dorn im Auge war. Ich wurde zum Handlanger ohne «Initiativbefugnisse» degradiert und gemobbt. Ich ging! Anschliessend wurde ich Magaziner mit kleinem Anstellungsgrad. 

2008 folgte eine weitere Ausbildung, die völlig unnütz war. Da ich die zugehörigen Arbeiten nur abends und nachts erledigen konnte, ging es nicht lange, bis ich wiederum mit Stresssymptomen reagierte. Ich war labil und vertrug keinerlei Anstrengungen mehr, weder geistiger noch körperlicher Art. Während und nach Abschluss der Ausbildung ereignete sich das gleiche Prozedere wie bei den vorhergehenden: Ich begann zu zittern, die Ängste nahmen zu und ich brauchte für jeden Gang Hilfe. Dieses Mal dauerte es über zwei Jahr bis ich wieder einigermassen selbständig das Haus verlassen konnte.  

Ganz selbständig und leistungsfähig wurde ich nie mehr! Auch der tiefe innere Frieden, diese innere Ruhe und die sagenhafte Lebensfreude, die ich oft nach einem für mich erfolgreichen Arbeitstag, auch ohne jegliche Höhepunkte und Erfolgserlebnisse, empfand, stellten sich ab 1985 nie mehr ein. Sie waren wie wegradiert und aus meinem Leben verbannt! Das macht mich oft sehr traurig!

Die Geschichte nahm ihren Fortgang: Ich arbeite immer noch als Magaziner und hoffe auch heute noch, nach siebenundzwanzig Jahren Burnoutschädigung, auf Genesung, damit ich noch den einen oder anderen Traum in meinem Leben verwirklichen kann. Zum Beispiel nochmals jenen einer Reise ans Nordkap, über den norwegischen Pass, der mir das Leben rettete und entlang von Fjorden. Hoffnung besteht, denn ich habe eine neue Therapieform entdeckt, die allen Angst- und Burnoutgeschädigten helfen soll. Ob‘s nur ein Papiertiger ist, wird sich weisen, denn ich habe sie als letzte Hoffnung begonnen. Die Erfolgsaussichten sind ausgezeichnet! Nur in welchem Umfang der Erfolg eintritt, ist ungewiss - und es dauert seine Zeit bis er sich zeigt. Ich lasse hier Platz, denn die Geschichte «Burnout ist grausam» wird weitergehen, irgendwann, sobald die Erfolgsstory beginnt. Vielleicht wird sie Ihnen, falls Sie an Burnout leiden oder sich eines zulegen möchten, helfen schnell wieder einen Ausweg zu finden ohne Blickkontakt mit dem Tod. 

Ich hoffe, meine Geschichte ist Ihnen eine Lehre und Sie nehmen sich die nötige Erholungs- und Freizeit, die Sie brauchen. Falls Sie unter einer ähnlichen Kindheit leiden wie ich gelitten habe, beginnen Sie (frühzeitig) eine Therapie und lassen Sie es nicht so weit kommen wie ich: «Keep cool and smile!»

...

PS: Um ein Burnout zu verhindern, habe ich Ihnen folgendes Rezept: Setzen Sie sich einen Rahmen innerhalb diesem Sie arbeiten, Mails beantworten, sich um berufliche Arbeiten kümmern, etc..  Idealerweise sollte dieser Rahmen nicht länger als bis 18:00 Uhr abends dauern, mit einer Toleranzzeit von einer Stunde für Notfälle. Ausserhalb dieses Rahmens und mindestens an anderthalb Tagen am Wochenende kümmern Sie sich nicht um Berufliches, beantworten Sie keine Mails und nehmen Sie sich Zeit für sich; gehen Sie aus, ins Kino, treffen Sie sich mit Freunden und lassen Sie die Seele baumeln. Wenn Sie Ihre Arbeit stark belastet und Sie viel Stress am Arbeitsplatz haben, empfehle ich Ihnen zudem ein Wochenende Auszeit pro Monat an dem Sie verreisen, andere Städte besuchen, wandern, länger Sport treiben oder an Ausstellungen gehen - kurz Ihren Alltag verlassen. Zudem empfehle ich Ihnen tägliche Spaziergänge! Mir helfen heute mindestens 45 Minuten Spaziergang pro Tag und an Wochenenden mindestens anderthalb Stunden.